Nach der Wahl ist vor der Wahl?

Nach der Wahl ist vor der Wahl?

Grazer Wirtschaftsgespräche I 16. Dezember 2016

In gewohnt pointierter Art und Weise analysierte Professor Peter Filzmaier im Rahmen der Grazer Wirtschaftsgespräche die Präsidentschaftswahl in Österreich und ihre Folgen. Neben der Analyse der Ergebnisse präsentierte Professor Filzmaier eine detaillierte Wählerstromanalyse nach Gruppen und diskutierte mögliche (Bundes-)Politische Folgen.

Vor der eigentlichen Wahlbilanz auf Basis von Daten des SORA Instituts und des Instituts für Strategieanalysen ließ Professor Filzmaier nochmals den Weg bis zur letzten, nun gültigen Wahl Revue passieren. Er erinnerte dabei an das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshof zur Aufhebung der Präsidentschaftswahl in Österreich und dass dies in der Geschichte von Präsidentschaftswahlen kein Novum war. Eine Aufhebung einer Präsidentschaftswahl gab es in der Geschichte bereits zweimal – auf Haiti und den Komoren. Mit einem Schmunzeln fügte er allerdings hinzu, dass es den Umstand, den Wiederholungstermin der Wahl aufgrund der Klebstoffproblematik nochmals verschieben zu müssen, nicht einmal auf Haiti oder den Komoren gab.

Auch wenn es keine Anfechtung der Wahl gab – was laut Professor Filzmaier aufgrund der Eindeutigkeit des Wahlergebnisses auch nur mit einem Imageverlust der Kandidaten möglich gewesen wäre –, gäbe es durchaus einen Anfechtungspunkt, der uns, sollte das Wahlgesetz nicht verändert werden, bei zukünftigen Wahlen beschäftigen wird. Dieser ist die Veröffentlichung von Teilergebnissen in Social Media vor Wahlschluss. Dadurch besteht die Möglichkeit der Beeinflussung des Wahlverhaltens von unentschlossenen Wählern, doch noch zur Wahl zu gehen und dadurch einen Einfluss auf den Wahlausgang zu haben. Eine Handhabe, dies zu verhindern, wäre z.B. ein einheitlicher Wahlschluss in ganz Österreich um 17 Uhr bzw. ein früherer Wahlschluss in den Gemeinden, allerdings mit Beginn der Auszählung nicht vor 17 Uhr.

Angaben zur Methodik

Die Daten, die Professor Filzmaier in seinem Vortrag präsentierte, stammen aus der Wahltagsbefragung, die von SORA/ISA im Auftrag des ORF durchgeführt wurde. Als Grundgesamtheit diente die Zahl der Wahlberechtigten für die Wiederholung der Stichwahl. Die Stichprobenziehung erfolgte nach Gemeinden und vorab geschichteter Zufallsauswahl. Schließlich wurden 1218 telefonische Interviews im Zeitraum von 1. bis 4. Dezember 2016 geführt. Die Daten wurden in einem ersten Schritt anhand soziodemografischer Merkmale gewichtet, um die wahlberechtigte Bevölkerung repräsentativ abzubilden und Aussagen über alle Wahlberechtigten treffen zu können. Die endgültige Gewichtung erfolgte mit der Hochrechnung am Wahltag. Die maximale Schwankungsbreite der Ergebnisse beträgt +/- 2,8 Prozentpunkte. Bei der Auswertung von Untergruppen muss berücksichtigt werden, dass die Schwankungsbreiten größer werden: für z.B. 150 Personen maximal +/- 8 Prozentpunkte.

Das Endergebnis der Wahl

Filzmaier-003_EndergebnisAlexander Van der Bellen hat die Wahl gegen Norbert Hofer mit 53,8 Prozent der abgegebenen Stimmen gewonnen. Insgesamt wurden für diese Wahl 708.185 Wahlkarten beantragt, das sind um 177.252 bzw. rund 20 Prozent weniger als bei der aufgehobenen Stichwahl im Mai. Im Vergleich zur Wahl am 24. April 2016 hat Norbert Hofer um 11,2 Prozentpunkte an Stimmen dazugewonnen, Alexander Van der Bellen 32,4 Prozentpunkte. Die Wahlbeteiligung stieg von 68,5 Prozent bei der ersten Bundespräsidentenwahl auf 72,7 Prozent bei der Stichwahl und betrug letztlich bei der Wiederholung der Stichwahl 74,2 Prozent. Damit ist die Wahlbeteiligung auf Bundesebene im internationalen Vergleich eine der höchsten weltweit. Sie liegt nur in Ländern mit Wahlpflicht, in denen ein Fernbleiben der Wahl mit Verwaltungsstrafen sanktioniert wird, höher – das sind in Europa nur Belgien und Luxemburg. Im Wahlverhalten nach Gruppen fällt insbesondere auf, dass Personen, die pessimistisch in die Zukunft blicken, dieses Mal weniger oft zur Wahl gegangen sind als Befragte, die mit einer positiven zukünftigen Entwicklung rechnen. Obwohl es sich um die Wiederholung einer Wahl gehandelt hat, hat sich die Wählerschaft zwischen den beiden Wahlen verändert. Da der Stichtag für die Zulassung zur Wahl auf Dezember geändert wurde, gab es neue Erstwähler – 0,6 Prozent der Wahlberechtigten durften erstmals ihr Wahlrecht ausüben. Diese Wähler hatten allerdings bei einem so deutlichen Ergebnis keinen Einfluss auf den Wahlausgang. Professor Filzmaier möchte auch mit einem Mythos aufräumen. So sind Aussagen über das Wahlverhalten der 16- und 17-Jährigen bei der Präsidentschaftswahl zu hinterfragen, da es dazu keine verlässlichen Daten gibt. Wenn über das Wahlverhalten junger Personen Aussagen getroffen werden sollen, dann sind lediglich solche über das Wahlverhalten der Gruppe der unter 30-Jährigen zulässig.

Wählerstromanalyse zwischen der nicht gültigen und der gültigen Stichwahl

Filzmaier-004_Wählerstrom_GrafikIn der aufgehobenen Stichwahl vom Mai 2016 lag Alexander Van der Bellen mit einem Vorsprung von rund 31.000 Stimmen vor Norbert Hofer. In der Wiederholungswahl ist dieser Vorsprung auf über 300.000 angewachsen. Dahinter stehen folgende Wählerbewegungen. Alexander Van der Bellen konnte Nichtwähler besser mobilisieren: Er konnte 169.000 Nichtwähler vom Mai für sich gewinnen und verlor im Gegenzug nur 25.000 Stimmen an die Nichtwahl – im Saldo ein Plus von 144.000. Anders Norbert Hofer, er bilanziert mit der Nichtwahl negativ: Er verlor 70.000 Stimmen vom Mai an die Nichtwahl und konnte nur 33.000 ehemalige Nichtwähler für sich gewinnen. Professor Filzmaier schlussfolgerte also, dass ein entscheidender Faktor der Austausch mit dem Nichtwählerlager war. Allerdings konnte Alexander Van der Bellen auch das Duell um Wechselwähler für sich entscheiden: 77.000 Personen, die im Mai noch für Norbert Hofer gestimmt hatten, haben sich bei der Wiederholung der Stichwahl für Alexander Van der Bellen entschieden. Umgekehrt wanderten nur 30.000 Stimmen von Alexander Van der Bellen zu Norbert Hofer.  Dieser direkte Austausch von knapp einem Prozent der Wahlberechtigten zwischen Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer verwundert aufgrund der so gegensätzlichen Kandidaten auf den ersten Blick. Doch Professor Filzmaier gab zu bedenken, dass Personen, die beim ersten Wahlgang weder Alexander Van der Bellen noch Norbert Hofer gewählt haben, bei der Stichwahl im wahrsten Sinn des Wortes eine „zweite Wahl“ treffen mussten. „Und wenn beide Kandidaten nur zweite Wahl sind, dann ist es nicht unlogisch, dass ein Wähler bei der Wiederholung der Stichwahl seine Meinung ändert“, so der Politologe.

Wählerstromanalyse zwischen dem ersten Wahlgang und der Wiederholung der Stichwahl

Filzmaier-005Wählerstrom_TabelleDie Betrachtung der Wählerstromanalyse zeigt, dass sowohl Norbert Hofer als auch Alexander Van der Bellen nahezu all ihre Wähler vom ersten Wahlgang erneut mobilisieren konnten, Verluste an die Nichtwahl gab es kaum. Allerdings konnte Alexander Van der Bellen 265.000 Nichtwähler des ersten Wahlgangs für sich gewinnen, Norbert Hofer nur 176.000. Von den Griss-Wählern entschied sich eine deutliche Mehrheit – 595.000 oder 73 Prozent – für Alexander Van der Bellen, rund ein Fünftel stimmte für Norbert Hofer, 6 Prozent blieben der Wahl fern oder wählten ungültig. Dieser Zugewinn für Alexander Van der Bellen war laut Professor Filzmaier bereits bei der Stichwahl der Schlüssel zum Erfolg. Rund sieben von zehn der Hundstorfer-Wähler entschieden sich für Alexander Van der Bellen, 21 Prozent für Norbert Hofer, 7 Prozent wählten nicht. Auch dieser Wechsel erscheint nicht verwunderlich, gab es doch von vielen SPÖ-Politikern Sympathiebekundungen für Alexander Van der Bellen. Wähler von Richard Lugner entschieden sich zu 62 Prozent für Norbert Hofer und zu 33 Prozent für Alexander Van der Bellen. Rund 60 Prozent der Wähler von Andreas Khol entschieden sich für Alexander Van der Bellen, ein Drittel hingegen für Norbert Hofer, 8 Prozent blieben der Wahl fern. Dieses Ergebnis ist bemerkenswert, da bei der ersten Stichwahl das Verhältnis noch etwa ausgeglichen bei 50 Prozent lag. Neben dem Austausch mit dem Nichtwähler-Lager ist diese Verschiebung ein Grund, warum Alexander Van der Bellen die Wahl für sich entscheiden konnte.

Wahlverhalten in ausgewählten Bevölkerungsgruppen

Die Zugewinne Alexander Van der Bellens gegenüber der ersten Stichwahl sind nicht eindeutig einzelnen Bevölkerungsgruppen zuzurechnen. Es war ein Zugewinn in allen Gruppen – ob alt oder jung, Stadt oder Land, kaufkräftig oder kapitalschwach. Die Bevölkerungsgruppe mit dem größten Plus für Alexander Van der Bellen waren die öffentlich Bediensteten. Im Mai hat Alexander Van der Bellen 55 Prozent der Stimmen erhalten, im Dezember waren es 66 Prozent. Bei Personen mit einem Abschluss einer mittleren Schule konnte Alexander Van der Bellen 7 Prozentpunkte dazugewinnen. Weitere Zugewinne erzielte er bei Frauen über 60 Jahren und Männern bis 29 Jahren – obwohl Alexander Van der Bellen in dieser Gruppe gesamt gesehen zurück liegt – und vor allem auch bei Pensionisten. Der Zugewinn in der letzten Gruppe ist bemerkenswert, da ältere Personen bislang eher weniger „grün“ gewählt haben.

Ein Stadt-Land-Vergleich zeigt, dass Alexander Van der Bellen in ländlichen Regionen von 1,8 Millionen abgegebenen Stimmen bei der Wiederholung der Stichwahl 45 Prozent erhielt. Im Vergleich zur Stichwahl im Mai entspricht das einem Plus von fünf Prozentpunkten.

Damit war die Strategie von Alexander Van der Bellen, Wahlberechtigte im ländlichen Raum anzusprechen, erfolgreich. Überspitzt formuliert meinte Professor Filzmaier, dass Alexander Van der Bellen „jeden noch so kleinen Berg erklommen hat und sich dabei fotografieren hat lassen“. Aber genau diese Bilder haben im Sommerloch sowohl in Social Media als auch in den traditionellen Medien Eingang gefunden – damit war auch diese Vorgehensweise kommunikationsstrategisch erfolgreich. Schließlich konnte Alexander Van der Bellen vor allem in kleinen Gemeinden überdurchschnittlich dazugewinnen. Das Wahlverhalten im Vergleich Stadt-Land fasste Professor Filzmaier mit dem Satz „Je städtischer, desto mehr Van der Bellen“ zusammen. Alexander Van der Bellen hat in den Großstädten 63 Prozent der Stimmen erhalten – in Wien z.B. sogar 65 Prozent. In diesem Zusammenhang stellt Professor Filzmaier auch Umfragen in Frage, die das Potenzial der FPÖ in Wien bei über 35 Prozent sehen. Würden diese Umfragen stimmen, hätte es in Wien eine Allianz aller Nicht-FPÖ-Wähler geben müssen. In diesem Zusammenhang stellt der Politologe auch fest, dass generell Unterschiede im politischen Denken zwischen Stadt und Land, eine Geschlechterkluft und eine Bildungskluft Phänomene in unserer Gesellschaft sind, die nicht durch die zwei politisch so gegensätzlichen Kandidaten verursacht wurden, sondern die schon länger bestehen, aber erst im Rahmen der Bundespräsidentenstichwahl datenmäßig veranschaulicht wurden. Eine Analyse nach der Selbstauskunft der Probanden bezüglich ihres Einkommens erweist sich in der Wahlforschung als schwierig, allerdings ist es möglich, das Wahlergebnis der Gemeinden mit den statistischen Kaufkraftdaten in Relation zu setzen. Die Verwendung von Kaufkraftdaten ist auch sinnvoller, da aufgrund der unterschiedlichen Lebenshaltungskosten das Einkommen weniger Aussagekraft hat. Es zeigt sich, dass, je kaufkräftiger die Gemeinde ist, desto besser Alexander Van der Bellen abgeschnitten hat. In Gemeinden mit unterdurchschnittlicher Kaufkraft haben rd. 44 Prozent für Alexander Van der Bellen gestimmt, in Gemeinden mit stark überdurchschnittlicher Kaufkraft 63 Prozent. Der Zugewinn Alexander Van der Bellens ist allerdings in den Gemeinden mit stark unterdurchschnittlicher Kaufkraft höher als in Gemeinden mit stark überdurchschnittlicher Kaufkraft. Bei Betrachtung des Wahlverhaltens nach Geschlecht zeigt sich, dass Männer – wie schon im ersten Wahlgang und bei der aufgehobenen Stichwahl – dieses Mal mit 56 Prozent vor allem für Norbert Hofer stimmten und Frauen öfter Alexander Van der Bellen wählten. Er erreichte in dieser Gruppe 62 Prozent. Das Wahlverhalten nach Alter zeigt vor allem bei Wählern unter 30 Jahren deutliche Unterschiede: Alexander Van der Bellen erreichte in dieser Gruppe 58 Prozent der Stimmen. Auch bei den Personen ab 60 Jahren schnitt er mit 55 Prozent besser ab als sein Konkurrent. Bei den 30- bis 59-Jährigen lagen beide Kandidaten in etwa gleichauf.  Bei einer kombinierten Betrachtung nach Alter und Geschlecht zeigt sich, dass Alexander Van der Bellen einen entscheidenden Vorteil bei Frauen über 60 Jahren und Frauen bis 29 Jahren erzielt hat. Die stärkste Gruppe von Norbert Hofer, in der sein Vorsprung am klarsten deutlich wird, sind Männer mittleren Alters. Das Wahlverhalten nach Erwerbsstatus zeigt, dass 85 Prozent der Arbeiter bei der Wiederholung der Stichwahl Norbert Hofer wählten. Auf bundespolitischer Ebene ist dieses Ergebnis vor allem für die SPÖ unerfreulich, da diese Gruppe traditionell eher „rot“ wählte. Alexander Van der Bellen lag umgekehrt bei den öffentlich Bediensteten mit 66 Prozent und den Angestellten mit 60 Prozent auf Platz eins. Das Wahlverhalten der Selbstständigen war ausgeglichen, Pensionisten stimmten häufiger für Alexander Van der Bellen. Zu beachten bei dieser Analyse ist, dass die Gruppen nicht gleich groß sind. Die Differenzierung nach formaler Bildung zeigt sehr deutliche Unterschiede: Norbert Hofer konnte vor allem bei Personen mit Lehrabschluss Stimmen gewinnen – er erreichte in dieser Gruppe 64 Prozent. Auch unter Wählern mit Pflichtschulabschluss lag der FPÖ-Kandidat vorne, bei Wählern mit einem Abschluss einer mittleren Schule lagen Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen in etwa gleichauf. Alexander Van der Bellen punktete bei formal höher Gebildeten: Unter Personen mit Matura erreichte er 74 Prozent der Stimmen, bei jenen mit Universitätsoder Hochschulabschluss sogar 83 Prozent. Wenn man das auf Gemeindeebene umlegt, zeigt sich, dass, je höher der Akademiker-Anteil in einer Gemeinde ist, desto höher der Stimmenanteil von Alexander Van der Bellen ist. Im Rahmen der Analyse der Parteipräferenz zeigen sich drei eindeutige und ein geteiltes Ergebnis: Personen, die bei einer vorgezogenen Nationalratswahl aktuell die SPÖ wählen würden, stimmten bei dieser Wahl zu rund 90 Prozent für Alexander Van der Bellen. Grün-Anhänger wählten praktisch ausnahmslos Alexander Van der Bellen, während aktuelle FPÖ- Wähler geschlossen Norbert Hofer unterstützten. Befragte, die derzeit zur ÖVP tendieren, wählten zu rund 45 Prozent Norbert Hofer und zu rund 55 Prozent Alexander Van der Bellen. Professor Filzmaier sieht in dieser Splittung der ÖVP-Wählerschaft eine spannende Ausgangslage für die nächste Nationalratswahl. Um das bürgerliche Lager bemühen sich nicht nur die ÖVP, sondern auch die NEOS und die Grünen. Die SPÖ hat das Problem des Wähleraustauschs mit der FPÖ.

Bewertung der erwarteten Entwicklung Österreichs

Die Bewertung der Lebensqualität in Österreich – sowohl vergangenheits- als auch zukunftsorientiert – wird in der Wahlforschung oftmals anstelle der bekannten Sonntagsfrage herangezogen, um das Stimmungsbild in der Bevölkerung darzustellen. Dazu werden Fragen nach der Einschätzung, ob es einer Person wirtschaftlich und sozial besser geht, als vor fünf Jahren bzw. ob die Person glaubt, dass es ihr in den nächsten fünf Jahren besser oder schlechter gehen wird, gestellt. Es zeigt sich, dass die Stimmungslage für Regierungsparteien günstig ist, wenn die Mehrheit sagt, es gehe ihr besser und umgekehrt ist die Stimmungslage für die Opposition besser, wenn die Mehrheit sagt, es gehe ihr wirtschaftlich und sozial schlechter. Rund die Hälfte der Befragten erwartet sich in den kommenden fünf Jahren eine gleichbleibende Lebensqualität in Österreich, knapp ein Drittel rechnet mit Verschlechterungen – beide Werte sind gegenüber Mai relativ konstant geblieben. 17 Prozent sehen eher eine positive Veränderung.

Für das Wahlverhalten spielte diese Zukunftssicht eine entscheidende Rolle: Wähler von Norbert Hofer sind deutlich pessimistischer. So stimmten Personen, die eine negative Entwicklung erwarten, zu 70 Prozent für den FPÖ- Kandidaten. Optimistisch gestimmte Personen und jene, die keine großen Änderungen erwarten, wählten hingegen mit 73 bzw. 59 Prozent mehrheitlich Alexander Van der Bellen. Wenn man etwas weiter in die Zukunft blickt und sich die Einschätzung der Lebensqualität der heute jungen Generation ansieht, zeigt sich, dass 45 Prozent der Meinung sind, dass das Leben der heute jungen Generation in Zukunft einmal schlechter sein wird. Nur rund 20 Prozent glauben an eine positive Entwicklung. Die übrigen Befragten erwarten keine Veränderung oder machten keine Angabe. Das Wahlverhalten auf Basis dieser Einschätzung zeigt ein ähnliches Bild wie die kurzfristige zukünftige Einschätzung: Jene Wähler, die schlechtere Zukunftsaussichten für die heutige Jugend in Österreich erwarten, stimmten zu zwei Dritteln für Norbert Hofer, in den beiden anderen Gruppen erreichte Alexander Van der Bellen 72 bzw. 66 Prozent der Stimmen. Dieser Trend, dass Pessimisten eher Norbert Hofer und Optimisten eher Alexander Van der Bellen gewählt haben, hat sich im Vergleich der beiden Stichwahlen fortgesetzt und ist sogar deutlicher geworden.

Wahlmotive

Alexander Van der Bellen überzeugte seine Wähler vor allem damit, Österreich im Ausland gut vertreten zu können (67 Prozent). Dieses Wahlmotiv war sowohl im Mai als auch im Dezember das Top-Motiv. Amtsverständnis und Kompetenz von Alexander Van der Bellen waren ebenfalls wichtige Entscheidungsmotive. Die Wähler von Norbert Hofer nannten als Hauptgrund für ihre Wahlentscheidung, dass ihr Kandidat die Sorgen der Menschen verstehe (55 Prozent). Dass er glaubwürdig sei, war für weitere 51 Prozent ein sehr wichtiges Wahlmotiv. Im Wahlkampf zur Wiederholung der Stichwahl versuchte Norbert Hofer vor allem mit seinen Kontakten ins Ausland zu punkten. Dieses Wahlmotiv war allerdings für seine Wähler eher weniger überzeugend. Gegenüber der aufgehobenen Stichwahl fällt auf, dass beide Kandidaten ihre Wähler in manchen Aspekten nun weniger klar überzeugen konnten als noch im Mai: So haben etwa Glaubwürdigkeit und Sympathie, aber auch das Verständnis für die Sorgen der Menschen, als Gründe für die Wahlentscheidung an Bedeutung verloren. Professor Filzmaier führte dies darauf zurück, dass „ein Jahr Wahlkampf niemandem gut tut, was Sympathie und Glaubwürdigkeit betrifft“.

Ausblick

Vielfach wird auch die Bedeutung der Bundespräsidentenwahl für die zukünftige politische Landschaft Österreichs diskutiert. Dass die Bundespräsidentenwahl auch eine Richtungsentscheidung war, sehen knapp unter 50 Prozent der Befragten – Van der Bellen-Wähler tendenziell eher als Hofer-Wähler. Professor Filzmaier erinnerte an die letzte kompetitive Bundespräsidentenwahl im Jahr 2004 zwischen Benita Ferrero-Waldner und Heinz Fischer, bei der kein Gedanke an eine Richtungsentscheidung für das Land aufkam. Generell lag bei vorangegangenen Wahlen die Wahrnehmung einer Richtungswahl – wenn überhaupt – im niedrigen zweistelligen Prozentbereich. Warum der Gedanke einer Richtungswahl bedeutender wird, erläuterte Professor Filzmaier anhand der Daten von Befragungen aus Mitte der 2000er-Jahre: Vor rund einem Jahrzehnt wünschten sich in etwa zehn Prozent der Befragten „einen starken Mann“. Das sind bei 6,4 Millionen Wahlberechtigten immerhin rund 640.000 Personen. Allerdings bedeutet das nicht, dass sich diese unbedingt eine Person aus dem rechten oder linken Politlager an der Spitze des Staates wünschen, sondern eher Politiker mit Führungsstärke. Was bedenklich erscheint, ist, dass diese Zahl 2016 mittlerweile bei 40 Prozent liegt und in der Bevölkerung eher befürwortet als nachdenklich aufgenommen und kritisch hinterfragt wird.

Abschließend meint Prof. Filzmaier zu diesem Thema, dass, wenn man die Bundespräsidentenwahl als Richtungswahl sieht, eine vorgezogene Neuwahldiskussion vor allem für die Großparteien, die gemeinsam beim ersten Wahlgang unter 25 Prozent der Stimmen erreicht haben, alles andere als logisch erscheint. Ein weiterer Aspekt, der uns bei zukünftigen Wahlen begleiten wird, ist das Vertrauen in die ordentliche Durchführung und Auszählung von Wahlen. Etwas mehr als 90 Prozent der Befragten stimmten der Aussage, sie vertrauen darauf, dass die Wahl ordentlich durchgeführt und ausgezählt wird, zu. Die Hofer-Wähler waren diesbezüglich weniger überzeugt als die Van der Bellen-Wähler. Allerdings stehen hinter den 7 Prozent, die glauben, dass die Wahl in irgendeiner Form manipuliert wurde, immerhin rund 450.000 Personen, die dieser Meinung sind. Die Betrachtung der absoluten Zahlen ist auch bei der Frage, ob man den nicht gewählten Kandidaten als Präsident akzeptieren will, sinnvoll. Diese Frage beantworten 14 Prozent eher mit Ablehnung. Damit sagt fast eine Million der Wahlberechtigten – um mit den Worten Professor Filzmaiers bzw. manch Amerikaner zu sprechen – „Not my president!“. Diese Einstellung birgt Konfliktpotenzial vor allem auch, da das nicht automatisch heißt, der Rest der Befragten findet Alexander Van der Bellen gut. Man muss bedenken, dass viele Alexander Van der Bellen gewählt haben, um Norbert Hofer als Präsidenten zu verhindern.

 

Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich bei Professor Filzmaier für seine interessanten Ausführungen bedanken. Zudem möchten wir uns bei Mag. Bernhard Weber, Martin Mader, MSc, und Remo Taferner, MSc, vom Institut für Unternehmensführung für die Organisation der Veranstaltung bedanken.

2018-06-27T09:38:22+00:00